Emanuel Hirsch gehört zu den bedeutendsten, aber auch umstrittensten deutschsprachigen Theologen des 20. Jahrhunderts. Einer breiteren theologischen Öffentlichkeit ist er bekannt als Übersetzer der Werke Sören Kierkegaards, als Herausgeber wichtiger Quellenbücher zur reformatorischen Theologie und zur neueren Theologiegeschichte sowie vor allem als Autor der monumentalen fünfbändigen „Geschichte der neuern evangelischen Theologie im Zusammenhange mit den allgemeinen Bewegungen des europäischen Denkens“ (Gütersloh 1949ff, Waltrop 52000).

Er ist ihr aber auch bekannt als Theologe, der sich im ‚Dritten Reich‘ mit voller Überzeugung dem Nazi-Regime verschrieben hat und an dieser Überzeugung auch nach 1945 festgehalten hat (mehr dazu hier).

Hirsch wurde am 14.6.1888 in Bentwisch (Brandenburg) geboren und verbrachte seine Kindheit größtenteils in Berlin, wo sein Vater Pastor an der Golgatha-Kirche war. 1906 begann er in Berlin das Studium der Theologie. Sein Hauptlehrer war Karl Holl. 1914 wurde er mit einer Arbeit über „Fichtes Religionsphilosophie“ in Göttingen promoviert. 1915 habilitierte er sich in Bonn mit einer Arbeit über „Christentum und Geschichte in Fichtes Philosophie“ und wurde Privatdozent für Kirchengeschichte. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs meldete er sich als Freiwilliger zum Kriegsdienst, wurde aber aus gesundheitlichen Gründen nicht eingezogen.

1917/18 übernahm er für einige Monate die vakante Pfarrstelle in Schopfheim/Baden, was er als seinen ‚Kriegsdienst‘ verstand. Nach dem Ersten Weltkrieg nahm er seine Tätigkeit als Privatdozent wieder auf. 1921 wurde Hirsch zum Ordinarius für Kirchengeschichte an der Universität Göttingen berufen. 1936 wechselte er dort auf die Professur für Systematische Theologie.


Nach dem Zweiten Weltkrieg ließ er sich aus Krankheitsgründen in den Ruhestand versetzen, um dem Entnazifizierungsverfahren zu entgehen. 1946 erblindete er vollständig, nachdem er bereits 1918 ein Auge verloren hatte. Unterstützt von seiner Ehefrau Rose Hirsch verlegte er sich zunächst auf das Schreiben von Romanen und Erzählungen. In den 1950er Jahren entstand in seiner Göttinger Wohnung im Hainholzweg 66 ein privater Lesekreis mit interessierten Studenten und Doktoranden, von denen später einige zu Theologieprofessoren wurden. Hirsch griff in diesem Zusammenhang auch wieder seine theologische Arbeit auf. Neben der bereits erwähnten Kierkegaard-Übersetzung entstanden weitere wissenschaftlich orientierte Werke.


Hirsch hat zu fast allen Disziplinen der Theologie bedeutende Beiträge geleistet (Primärbibliographie). Sein Hauptthema wurde zunehmend die „Umformungskrise“, in welche die Entwicklung der modernen Naturwissenschaft, die historische Kritik und die neuere Philosophie das Christentum gestürzt haben. Diese Denkbewegungen machen nach Hirschs Ansicht die herkömmliche Fassung der Theologie unmöglich und erzwingen eine Umformung ihrer bisherigen Gestalt, um den Zugang zum evangelischen Glauben nicht zu verstellen.


Hirsch starb am 17.7.1972 in Göttingen und wurde auf dem Friedhof in Gelliehausen beigesetzt. Die einsetzende Erforschung seines Werks konzentrierte sich zunächst auf seine politische Theologie. Gegen Mitte der 1980er Jahre begann auch eine intensivere Erwägung seiner systematisch-theologischen Thesen. Seit 1998 erscheint eine Ausgabe seiner Gesammelten Werke im Verlag Hartmut Spenner (Waltrop). Bisher sind über 25 Bände erschienen.